Media Trends | 08.03.2023

Mehr History für einen besseren Journalismus

Adobe Stock/ Cienpies Design

Vergangenheit hat immer Einfluss auf die Gegenwart. Dennoch finden historische Kontexte selten Platz in tagesaktuellen Berichterstattungen. Das History-Canvas ist ein Template, das hilft, Geschichten mehr Tiefe und Qualität zu geben, indem schneller Bezüge ins Heute aufgezeigt werden. Warum das so wichtig ist, hat uns Bastian Hosan, der Erfinder des Canvas, erklärt.

Die Bedeutung von historischen Ereignissen ist nicht nur etwas für das Genre des Geschichtsjournalismus. Historische Kontextualisierungen sind für die meisten aktuellen Berichterstattungen relevant und spielen auch eine große Rolle für Laienpublikationen. Warum das so ist, zeigt ein plakatives Beispiel: “Zieh deine Maske auf, bevor du in die Bank gehst”. Vor der Covid-19-Pandemie hätte man diese Aussage mit einem Raubüberfall in Verbindung gebracht, während der Pandemie ist diese Aussage eher im Kontext der Gesundheitsprävention anzusiedeln. Historische Kontexte prägen jegliche Art von Publikation und die damit verbundene Wirkung bei den User:innen.

Der heutige Journalismus ist besser durch Bezüge aus der Vergangenheit

Wenn Medien über Geschichte oder aktuelle Ereignisse mit historischem Bezug berichten, dann ist das Bastian Hosan oft zu kurz gegriffen. Der Journalist vermisst die historischen Kontexte in der aktuellen Berichterstattung. Anwendungsfälle für Berichterstattungen mit historischen Rahmenbedingungen gibt es reichlich, zum Beispiel aktuell die Rückgabe der Benin-Statuen. Ein anderes wiederkehrendes Ereignis ist die Umbenennung von Straßen. “Themen werden als abgeschlossen dargestellt – das ist aber nicht der Fall”, sagt der studierte Historiker. “Vielmehr brauchen wir verschiedene Perspektiven auf ein aktuelles Geschehen und häufig kann man aus der Historie dazu Aspekte ableiten”.

Deshalb hat er seine Expertise aus Geschichte und Journalismus in den letzten sechs Monaten im R&D Fellowship vereint. Herausgekommen ist ein Template, das es Redaktionsmitarbeitenden ermöglicht, ihre Berichterstattung auf historische Eckpunkte abzugleichen und zu ergänzen. Medienmacher:innen können dadurch entweder neue Zielgruppen ansprechen, bei bereits gewonnen Audiences neue Impulse setzen, die Qualität der Berichterstattung steigern und mehr Perspektivenvielfalt gewinnen.

Kontextualisierung

Die Geschichtserzählung im Journalismus bedient häufig nationale Narrative oder ist geprägt durch Storytelling, wie etwa David gegen Goliath, vom Underdog zum Superstar, Heldengeschichten und Ähnlichem. “Es braucht neue Methodiken zum Beispiel den Ansatz der Shared History. Darin wird anerkannt, dass zwei oder mehrere Parteien verschiedene Aspekte einer Geschichte beitragen, auch wenn sie unterschiedliche historische Wahrheiten haben”, sagt Bastian Hosan.

Ein Beispiel dafür ist die Berichterstattung über die Rückgabe der Benin-Bronzen. “Das ist Kunst, die, aus unserem heutigen Wissensstand betrachtet, geraubt wurde. Es geht nicht nur darum, dass diese Statuen zurückgegeben werden. Es geht darum, im Journalismus aufzuzeigen, warum dies damals geschah und wie sich das auf die afrikanische Bevölkerung ausgewirkt hat und welchen Einfluss die Rückgabe auf unser heutiges Zusammenleben in Deutschland und in Afrika hat. Es entsteht eine gemeinsame Geschichte”. Eine Kontextualisierung hilft also aktuelle Ereignisse zu verstehen und einordnen zu können. Dadurch entsteht ein größeres Wissen und eine bessere Diskursfähigkeit, da im Diskurs anerkannt wird, dass es neben der eigenen auch noch andere Perspektiven geben kann. Es ist die Aufgabe von Medien, diese Komplexität so darzustellen, dass User:innen sie verstehen. Das ist historische Wissenschaftskommunikation.

Wer historische Kontexte mitliefert, trägt dazu bei, dass die Audience sich einen fundierten Eindruck verschaffen kann und diskursfähig wird. Denn Journalismus berichtet dann nicht nur über aktuelle Geschehnisse, sondern gibt ebenfalls Raum für die Frage nach dem Warum und ermöglicht so eine Einschätzung, die auf Perspektivenvielfalt beruht.

Reflexion und Weiterentwicklung

Durch den Einsatz des History Canvas können Redakteure und Redakteurinnen zum Beispiel eine Geschichte über eine Stadt leichter reflektieren und weitere Aspekte einer Geschichte finden. “Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft können sich ändern, da sich unser Kenntnisstand verändert. Mit meinem Projekt möchte ich diese Lücke füllen und zeigen, dass Geschichte nicht in Stein gemeißelt ist, sondern ein formbares Konstrukt ist”, beschreibt Bastian Hosan den Grundgedanken seines History Canvas.

Die bayrische Stadt Augsburg wird beispielsweise immer wieder mit der Familie Fugger verbunden. Im Jahr 2020 entbrannte eine Debatte um die Erzählung über die Kaufmannsfamilie in einem Museum. “Die Geschichte der Fugger kann verschieden beleuchtet werden, zum Beispiel kolonialistisch oder kaufmännisch. Es ist sehr schwer, in einer Berichterstattung alle Aspekte zu berücksichtigen. Jedoch sind Bevölkerungsgruppen, die im 15. Jahrhundert kein Gehör gefunden haben, inzwischen Teil unserer Gesellschaft. Für mich ist es die Aufgabe des Journalismus, auch deren Perspektive zu erzählen und diesen Menschen einen Platz einzuräumen”. Wichtig ist, dass eine Geschichte nie ganz erzählt werden kann. Vielmehr gibt es parallele, historische Wirklichkeiten, die je nach Erzählperspektive verschiedenen sein können, da sie nur einen Teil der Geschichte widerspiegeln.

Besserer Journalismus durch Kontexte

Medienprodukte, die umfassend und ausgewogenen berichten möchten, dürfen historische Kontexte nicht außer Acht lassen. Die Kunst besteht darin, aktuelle Ereignisse in einen Bezug zu setzen und so einen Mehrwert für eine vielschichtige Berichterstattung zu schaffen. Das History Canvas ist dafür ein Tool und kann ab sofort kostenlos heruntergeladen werden.

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