Abschlussarbeiten im Media Lab | 30.04.2025
Leichte Sprache in Apps: Wie schwer kann das sein?

Leichte Sprache in mobilen Applikationen ist aktuell noch eine Seltenheit. Sie gilt als Netiquette. Dabei wäre mehr davon für sehr viele Menschen sinnvoll und inklusiv. Wo hakt es also - auch in der Medienbranche - und welche Empfehlungen können bei der Umsetzung helfen?
Inhaltsverzeichnis
- Was ist Leichte Sprache?
- Die App-Realität: ein exklusiver Status-Quo
- Verständliche Inhalte sind kein „nice to have“
- Empfehlungen für den Einsatz von Leichter Sprache
- Empfehlung #1: Partizipation
- Empfehlung #2: Textgestaltung
- Empfehlung #3: Übersetzung
- Empfehlung #4: Textprüfung
- Das große Ganze und die Intersektionalität
Was ist Leichte Sprache?
Die Entstehung der Leichten Sprache reicht zurück in die 1970er Jahre, als sich in verschiedenen Ländern die People-First-Bewegung für die Teilhabe und Rechte von Menschen mit Lernschwierigkeiten einsetzte. Eine Forderung der Bewegung war ein generelles Angebot von verständlichen Inhalten.
Die Bewegung kam etwas später nach Deutschland, wo sich Vereine und Organisationen bildeten, die Wörterbücher und Regelwerke für Leichte Sprache entwickelten. Der Verein Netzwerk Leichte Sprache e.V. hat beispielsweise 2016 eines der führenden Regelwerke herausgegeben und entwickelt es seither kontinuierlich weiter.
Leichte Sprache ist trotz ihrer Bezeichnung keine eigene Sprache, sondern eine Vermittlungs-Varietät. Häufig wird sie mit der Einfachen Sprache verwechselt, unterscheidet sich jedoch unter anderem darin, dass sie klaren Regeln folgt. Einige zentrale Regeln sind:
- Kurze Sätze (maximal eine Aussage pro Satz)
- Fremd- und Fachwörter vermeiden (es sei denn, sie werden erklärt)
- Klare Struktur (Absätze, Überschriften, Hervorhebungen)
- Direkte Ansprache (Sie oder Du statt man)
- Bilder oder Symbol als visuelle Unterstützung
Im Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER) entspricht Leichte Sprache etwa dem A1- bis A2-Level (anfängliche bis grundlegende Kenntnisse), während Einfache Sprache dem A2- bis B1-Level (grundlegende bis fortgeschrittene Kenntnisse) zugeordnet werden kann.
Vielleicht gelingt nun eine erste Vorstellung vom Textbild einer Leichten-Sprache-Übersetzung. Falls nicht, hilft sicher das folgende Bild des KI-Startups SUMM AI als Beispiel:

Die App-Realität: ein exklusiver Status-Quo
Obwohl der Einsatz von Leichter Sprache inklusiv und sinnvoll ist - weil er verständliche digitale Angebote schafft – , bietet die App-Welt kaum mobile Applikationen in Leichter Sprache an.
Ein möglicher Grund: Es gibt aktuell keine gesetzliche Verpflichtung zum Angebot von Leichter Sprache in Apps. Die Pflicht besteht bisher nur für Websites von Behörden und Ämtern. Und auch da wird lediglich das absolute Minimum verlangt: Startseite, Navigation und eine Erklärung, welche Inhalte auf der Website zu finden sind. Und als wäre das nicht schon wenig genug, setzen viele Behörden selbst diese Anforderungen kaum um.
Eine weiterer möglicher Grund ist die Berührungsangst mit Leichter Sprache. Die Regelungen wirken auf den ersten Blick durchaus komplex, die Integration scheint aufwändig. Medienschaffende, eigentlich Kommunikationsprofis, sind beispielsweise selten mit der Leichten Sprache vertraut und scheuen sich so umso mehr vor der Umsetzung.
Verständliche Inhalte sind kein „nice to have“
Hilfreich beim Rantasten ist ein Grundverständnis dafür, dass Inklusion keine Netiquette ist. Dann kommt die Motivation von ganz allein. Ich empfehle dafür das Buch „Wer Inklusion will…“ von Raul Krauthausen oder den Podcast „Die Neue Norm“ vom BR.
Dort wird auch deutlich, wie groß die Zielgruppe eigentlich ist - viel größer nämlich als oft gedacht: In Deutschland profitieren rund 14 Millionen Menschen von Angeboten in Leichter Sprache. Neben Menschen mit Lernschwierigkeiten zählen Menschen mit Lernschwäche, ältere Menschen, Menschen, die nicht mit der deutschen Sprache aufgewachsen sind, und Menschen mit Demenz dazu – und das sind noch lange nicht alle.
Empfehlungen für den Einsatz von Leichter Sprache
Für mich Grund genug, mich intensiver mit digitaler Barrierefreiheit auseinanderzusetzen und in einen direkten Austausch mit der Zielgruppe zu gehen. Dabei wurde deutlich: Es gibt für den Einsatz von Leichter Sprache in Apps ein paar Dinge zu beachten:
Empfehlung #1: Partizipation
Wer sich intensiver mit Leichter Sprache beschäftigt, erkennt schnell, welche zentrale Rolle die Zielgruppen spielen. Deren Vielfalt ist groß, es braucht also eine ganz individuelle Ausrichtung an den Menschen, für die die Inhalte übersetzt werden. Teil des Entwicklungsprozesses sollte deshalb immer das Kennenlernen und Einbeziehen dieser Menschen sein.
Empfehlung #2: Textgestaltung
Wie bereits in den Regeln der Leichten Sprache beschrieben, braucht es eine klare Struktur und inhaltliche Sinnhaftigkeit. Das klingt zunächst banal – es ist jedoch immer wieder überraschend, was sich an Texten noch verbessern lässt. Es gibt aber auch Regeln, die in Apps nicht eingehalten werden können. Zum Beispiel ein Satz pro Zeile. In meinen Tests war es für die Zielgruppe in Ordnung, diese Regel nicht vollständig einzuhalten. Im Zweifel hilft – wie immer – der direkte Austausch mit der Zielgruppe.
Empfehlung #3: Übersetzung
Künstliche Intelligenz kann inzwischen in vielen Bereichen unterstützen – auch bei der Übersetzung in Leichte Sprache. Dabei ist entscheidend, dass die jeweilige KI auf Basis von Regelwerken trainiert wurde. ChatGPT kann nach aktuellem Wissensstand keine regelkonforme Leichte Sprache garantieren. Deshalb sollten ausgebildeten Leichte-Sprache-Expert*innen jede Übersetzung redaktionell prüfen.
Empfehlung #4: Textprüfung
Einige Regelwerke schreiben eine Prüfung vor, andere nicht. Gemeint ist damit, dass die Zielgruppe den übersetzten Text liest, prüft und im besten Fall als verständlich freigibt. Meiner Erfahrung nach ist eine solche Prüfung je nach Texttyp gut machbar – und je nach Format sollte sie möglichst am Endgerät stattfinden, also dort, wo die Zielgruppe den Text tatsächlich liest.

Das große Ganze und die Intersektionalität
Schenken wir diesen Empfehlungen Beachtung, entsteht etwas, das über die Leichte Sprache hinausgeht: Intersektionalität – also Verbindungen zu anderen Teilbereichen der digitalen Barrierefreiheit. Ganz nach dem Motto: „It’s all connected.“
In Zusammenarbeit mit Menschen mit Lernschwierigkeiten ist eine Auflistung von Tools entstanden, die beim Einsatz von Leichter Sprache berücksichtigt werden sollten. Sie macht deutlich, wie eng Leichte Sprache mit anderen Bereichen der Barrierefreiheit verbunden ist.

Nehmen wir etwa das erste Tool: Die Sprachein- und -ausgabe kann nicht nur Menschen mit Lernschwierigkeiten unterstützen, sondern auch Menschen, die nicht lesen können, Menschen mit Sehbehinderungen, Menschen, deren haptische Sinne beeinträchtigt sind sowie Menschen, die gerade keine Hand frei haben.
Genau hier zeigt sich ein typischer Effekt der Barrierefreiheit: Der sog. Curb-Cut-Effekt - frei übersetzt als Bordsteinkanten-Effekt - beschreibt, dass alle Menschen von einer barrierefreien Entwicklung, wie etwa einem abgesenkten Bordstein, profitieren können. Genauso funktioniert auch der Zugang zu verständlichen Informationen: Wenn Inhalte klar und barrierefrei sind, können alle davon profitieren.
Paula hat nun das Förderprogramm für Abschlussarbeiten durchlaufen. Du hast auch ein spannendes Thema? Melde dich bei uns!