Media Research & Development | 24.09.2024

Dialogformate: Die Rolle des konstruktiven Dialogs im Journalismus

Cindy Ngo / Media Lab Bayern

Miteinander statt übereinander: Dialogformate im Journalismus gewinnen zunehmend an Bedeutung. Dass dem so ist, ist nicht nur auf eine zunehmende Polarisierung zurückzuführen. Auch News Fatigue (der Zustand der vorübergehenden Ermüdung von Nachrichten) oder sogar das vollständige Vermeiden von Nachrichten, die News Avoidance, führen dazu, dass viele Menschen gar nicht mehr einschalten, um sich mit den belastenden Themen nicht auseinandersetzen zu müssen. 

Damit es gar nicht erst soweit kommt, setzt der Dialogjournalismus auf konstruktive Formate, um Brücken zu bauen, Missverständnisse auszuräumen und gemeinsame Lösungen für komplexe Probleme zu finden. Doch was genau steckt hinter diesem Begriff und welche Formate eignen sich dafür besonders?

Was sind Dialogformate?

Dialogformate sind eine Form der gemeinsamen Kommunikation, bei denen es nicht nur um den Austausch von Meinungen geht, sondern auch um das tiefere Verständnis für unterschiedliche Perspektiven. So können trotz möglicher Meinungsunterschiede Gemeinsamkeiten gefunden werden, die je nach Zielsetzung des Dialogs auch eine Zusammenarbeit bei der Lösungsfindung ermöglichen. Konsens und Kooperation statt Konfrontation stehen im Mittelpunkt.

Somit unterscheiden sich Dialogformate auch von klassischen Debattenformaten. Denn diese haben oft nicht das tiefere Verständnis zum Ziel, sondern das Gegenüber zu „besiegen“.Man denke an „Jugend debattiert“, wo am Ende ein „Siegerteam“ gekürt wird oder die zahlreichen klassischen Talkshows von “Hart, aber Fair”, über “Lanz” zu “Maischberger”.

Im Gegensatz zu diesen traditionellen Debatten bieten Dialogformate die Möglichkeit zur Reflexion und zum Erkenntnisgewinn. Hier geht es weniger darum, einen Sieg in einem Argument zu erringen, sondern vielmehr darum, eine Plattform zu schaffen, auf der alle Stimmen gehört und auf der gemeinsame Lösungen erarbeitet werden können. Besonders wertvoll ist dies bei Themen, die stark polarisieren. Denn Medien haben hier mehr als sonst die Verantwortung, Hintergründe verständlich und auch die leisen Zwischentöne hörbar zu machen. 

Warum ist Dialogjournalismus wichtig?

Dialogjournalismus hilft, Barrieren abzubauen, Vorurteile zu überwinden und das gegenseitige Verständnis zu vertiefen. Missverständnisse und eine Eskalation der Debatte können so vermieden werden. Ein Beispiel sind die Proteste der Klimaaktivistengruppe „Letzte Generation“: Längere dialogjournalistische Formate, in denen über die Motivation der Protestierenden gesprochen wird, schaffen für das klimapolitische Anliegen mehr Verständnis als der Protest an sich.

Ein offener Dialog kann so helfen, Spannungen zu entschärfen, bevor sie sich zu unlösbaren Konflikten verhärten. Dialogjournalistische Formate sind mehr denn je verbreitet – fünf Beispiele beschreiben dies näher.

Fünf wichtige Dialogformate im Journalismus

Dialogjournalistische Formate sind mehr denn je verbreitet - fünf Beispiele beschreiben dies näher. 

  1. Interview: Das Interview ist eines der ältesten und vielseitigsten Dialogformate. Durch gezielte Fragen können Journalist:innen nicht nur Informationen sammeln, sondern tiefere und persönliche Einblicke in die Denkweise, Motivation und Absicht ihrer Gesprächspartner:innen gewinnen. Ein gutes Beispiel sind die „Sommerinterviews“ der ARD mit Spitzenpolitiker:innen, die das informationsarme Sommerloch mit neuen Anregungen inspirieren. Ein gutes Dialogformat ist das Interview aber nur dann, wenn die Fragenstellenden ihr Gegenüber verstehen möchten. Gut geführt, kann nicht nur die Motivation von Menschen aus der Politik besser verstanden werden. Es können Missverständnisse ausgeräumt, Ängste genommen und Betroffenen einen Stimme gegeben werden.
     
  2. Expert:innengespräch: Dieses Dialogformat bringt Fachleute aus verschiedenen oder dem gleichen Bereich zusammen, um komplexe Themen verständlich zu erläutern. Die Themen, bei denen Experts zu Wort kommen, sind häufig Themen, bei denen durch mangelnde Informationen oder unsichere Zukunftsaussichten Orientierung gesucht wird. Nicht nur während Corona war dies der Fall; auch Künstliche Intelligenz und der Klimawandel sind Beispiele, bei denen Expert:innen Orientierung geben. Dies geschieht zum Beispiel im KI-Podcast der ARD. Mehrere Expert:innenmeinungen können so ein differenziertes Bild zeichnen, das den Medienkonsument:innen hilft, ein tiefes Verständnis für das Thema zu entwickeln.
     
  3. Online-Dialoge: In den letzten Jahren hat sich auch ein Format neu etabliert: der Online-Dialog. Häufig kommt dieser auch als Online-Debatte vor. Dabei bleibt jedoch die Herausforderung, diese Diskussionen konstruktiv und faktenbasiert zu führen, da die Distanz und mögliche Anonymität über das Internet oft zu emotionalen und unsachlichen Äußerungen führen. Die Vorteile des Online-Formats liegen auf der Hand: Man kann sich von überall aus der Welt zuschalten. Besonders in Krisen- und Konfliktregionen können durch professionell moderierte konstruktive Dialoge zwischen Konfliktparteien Brücken gebaut werden. Ein Beispiel hierfür ist das Projekt „Media for Peace“, ein gemeinsames Projekt des Innovation Hubs Media Lab Bayern, der Universität der Bundeswehr München sowie dtec.bw, dem Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr. Mit dem Fokus auf Afghanistan und den Libanon organisiert Media for Peace zukunftsorientierte Dialoge, in denen Bürger:innen der genannten Länder aus allen Regionen und aus dem Ausland über Ansätze für friedensschaffende und - erhaltende Maßnahmen sprechen können. 
     
  4. Talkshow: Talkshows sind ein bewährtes Format, um Diskussionen vielen Menschen gleichzeitig zugänglich zu machen: „Eine der deutschesten Sachen, die man sich vorstellen kann“ schreibt The Local, ein Magazin für Expats die in Deutschland leben: Mehrere Menschen mit verschiedenen Meinungen diskutieren zu einem Thema – moderiert von einer Person, die die Redeanteile gleich verteilt und die Diskussionsfragen stellt. Am Ende entsteht vielleicht sogar ein Konsens. Mehrere Millionen Menschen schalten wöchentlich bei „Lanz“, „hart, aber fair“, „Maybrit Illner“ und Co ein. Doch wie so häufig müssen auch Talkshows auf ihre Quoten schauen und hitzige Diskussionen bringen mehr Quote als konstruktiver Dialog. Dass man einen konstruktiveren Kurs trotz sinkender Quote trotzdem durchziehen kann, beweist Caren Miosga. Nachdem weniger Leute bei ihrer Talkshow einschalten, sagt sie im Turi2-Interview: „Mir geht es darum, dem immer aggressiver und gehetzter auftretenden Diskurs eine Tonalität entgegenzusetzen, die Zwischentöne zulässt.“ 
     
  5. Podcast: Podcasts haben in den letzten Jahren sehr viel an Popularität gewonnen. Wie so einiges in der Tech-Welt, wurde auch der Begriff „Podcast“ von Steve Jobs mitgeprägt: „Pod“ für iPod und Cast für „Broadcast“. Das Prinzip ist denkbar einfach: Es gibt mehrere Episoden innerhalb eines Konzepts oder Themas. Dass Podcasts so beliebt sind, liegt auch daran, dass man sie zwischendurch hören kann. Gleichzeitig bieten sie auch Raum für tiefgründige Gespräche, die in anderen Medienformaten keinen Platz finden. Ein Beispiel ist der Podcast „Alles gesagt?“ der „ZEIT“, in dem sich mehrere Stunden Zeit für einen Gast genommen wird. 

Was ist ein konstruktiver Dialog und wie gelingt er ?

Die oben aufgezeigten Beispiele zeigen verschiedene Formate, in denen ein Dialog stattfinden kann. Besonders in Krisenzeiten, oder in Zeiten öffentlicher Verunsicherung oder aufgeheizten Debatten, bietet der Austausch mit der Suche nach Gemeinsamkeiten und dem gegenseitigen Verständnis ein wirksames Gegenkonzept. Im konstruktiven Dialog werden der Dialogjournalismus und das Konstruktive zusammengedacht. Die wichtigsten Aspekte des konstruktiven Journalismus sind dort enthalten:

1. Fokus auf Lösungen und die (nahe) Zukunft

2. Perspektivenreichtum

3. Hintergrundberichterstattung

4. Aufzeigen von Handlungsoptionen 

Zusätzlich kann ein konstruktiver Dialog nur wirksam sein, wenn er eine Community aufbaut, die vom Dialog inspiriert wird. Eine Win-Win-Situation also. Auf diese Weise werden nicht nur die Themen angesprochen, die alle am meisten beschäftigen, sondern auch Missverständnisse ausgeräumt, Fehlinformationen entkräftet und Ergebnisse erzielt, die auf breites Verständnis stoßen.

So löste die russische Invasion der Ukraine auch in Deutschland große Veränderungen und Verunsicherungen aus, die von den Medien auch durch den konstruktiven Dialog beispielsweise über die Perspektiven der Bürgerinnen aufgefangen werden können. Zeitwende on tour ist hier ein sehr gutes Beispiel. Die Veranstaltungsreihe der Münchner Sicherheitskonferenz tourt seit 2023 durch ganz Deutschland und lädt Bürgerinnen und Bürger zum Gespräch ein. Maßgeblich entscheidend für die gute konstruktive Umsetzung eines Dialogs ist eine geschulte Moderation.

Warum brauchen wir konstruktiven Dialog?

Krisen und Konflikte nehmen weltweit immer mehr zu. Die Folge: Menschen fühlen sich von schlechten Nachrichten erschöpft, es kommt zur „News Fatigue“, häufig sogar zum kompletten Abschalten vom Nachrichtenkonsum, der sogenannten „News Avoidance“. Eine Medienlandschaft, die konstruktive Dialoge nutzt, kann jene wieder motivieren, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen, die eigentlich schon abgeschaltet haben. 

Bereits einen Ausweg aus komplizierten Konfliktthemen zu sehen, weckt die Hoffnung auf eine friedliche Zeit nach einem Konflikt. Die ergänzende Möglichkeit der Beteiligung an der Lösungsfindung schafft Interaktion auf Augenhöhe zwischen Mediennutzer:in und Medium.

Beispiele für Dialogjournalismus in der Praxis

Mittlerweile haben sich einige dialogjournalistische Formate und Projekte als erfolgreiche Beispiele etabliert. Folgend eine Auswahl: 

  1. Correctiv: „Wem gehört Hamburg“?

    „Wem gehört Hamburg?“ ist ein dialogjournalistisches Rechercheprojekt des investigativen Journalistenkollektivs Correctiv.  In Zeiten steigender Mieten und Gentrifizierung untersucht das Projekt, welche Investor:innen hinter dem Immobilienboom stehen. Der Ansatz ist dialogisch und auf Bürgerbeteiligung ausgelegt: Correctiv ruft Hamburger:innen dazu auf, aktiv Informationen über ihre Wohnverhältnisse und Eigentümer:innen zu teilen. Über zusätzliches Crowdsourcing sammelt Correctiv so Daten und gewinnt Einblicke in Besitzverhältnisse, die sonst nur schwer zu bekommen wären. Was am Ende des Prozesses herauskam: Ein großer Teil des Hamburger Wohnungsmarktes ist in den Händen weniger großer Investor:innen, was zu sozialer Ungleichheit beiträgt. Durch den direkten konstruktiven Dialog mit der Bevölkerung wurde nicht nur Transparenz, sondern auch ein breites Bewusstsein für die gesellschaftlichen Folgen der Stadtentwicklung geschaffen.
     
  2. Die Zeit: "Deutschland spricht" 

    „Deutschland spricht” von ZEIT Online, bringt Menschen mit unterschiedlichen politischen Ansichten zusammen, um persönliche Gespräche zu führen. Ziel des Dialogformates ist es, der immer stärker werdenden gesellschaftlichen Spaltung durch konstruktive Diskussionen etwas entgegenzusetzen. Über einen Fragebogen ermittelt das Projekt, wo die Teilnehmenden in zentralen politischen und gesellschaftlichen Fragen stehen, und matched daraufhin Personen mit entgegengesetzten Meinungen. In persönlichen Treffen diskutieren sie Themen wie Migration, Klimawandel oder soziale Gerechtigkeit. Journalist:innen begleiten den Prozess, moderieren die Gespräche und werten die Ergebnisse aus. Die zentrale Erkenntnis: Der direkte Dialog zwischen Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven hilft, Missverständnisse abzubauen und Empathie zu fördern – ein Beitrag zur Stärkung der Demokratie in polarisierten Zeiten.
     
  3. The What If

    „The What If” ist die Umsetzung des „Media for Peace“ Projekts der Universität der Bundeswehr München, dtec.bw, dem Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung und dem Innovation Hub Media Lab Bayern. Mit einem Fokus auf die Krisen- und Konfliktländer im Libanon und Afghanistan bringt The What If Menschen zu einem Dialog zusammen. Doch weil die Diskussionen in einer von Konflikt geprägten Gesellschaft häufig von Anschuldigungen zu Ereignissen in der Vergangenheit und der Gegenwart bestimmt sind, moderiert das The What If Team mit Futures Thinking Methoden. So ist es möglich, im Dialog eine gemeinsame Vision für die Zukunft zu erarbeiten. Mit über 15 Dialogen, die bereits zu Themen wie Erinnerungskultur, Frauenrechte oder Milizkämpfen geführt wurden, entstanden bereits zahlreiche Brücken zwischen Konfliktparteien. Dass Formate wie diese heute wichtiger denn je werden, sagen nicht nur die Teilnehmenden der Dialoge bei The What If.  

Warum sind konstruktive Dialogformate heute wichtiger denn je?

Dialogformate sind wichtiger denn je: Polarisierende Themen wie politischer Extremismus, Klimawandel und soziale Gerechtigkeit führen zu Gräben in der öffentlichen Debatte. Menschen sprechen häufig über- statt miteinander und zeigen für andere Meinungen weniger Verständnis. Die Medienlandschaft trägt durch ihre oft konfliktorientierte Berichterstattung nicht selten zu einer Polarisierung bei, anstatt den Diskurs zu versachlichen. Hinzu kommen Phänomene wie News Fatigue und News Avoidance, bei denen Menschen sich von der überwältigenden Flut negativer Nachrichten erschöpft fühlen und sich vollständig vom Nachrichtenkonsum abwenden. Eine Studie des Reuters Institute zeigt, dass in Deutschland bereits 36% der Bevölkerung gezielt Nachrichten meiden, weil sie sie als deprimierend oder belastend empfinden.

Dialogformate bieten hier eine entscheidende Gegenstrategie: Sie fördern nicht nur den Austausch unterschiedlicher Perspektiven, sondern schaffen Raum für Verständnis, Reflexion und Lösungsansätze. Das zeigen Ansätze wie die oben beschriebenen Beispiele. Schau gerne auf der innovativen The What If - Plattform vorbei, um mehr über das aktuelleste Projekt des Dialogjournalismus zu erfahren. 

Ein Artikel von

Alexander Karam

Alexander Karam ist Journalist und CEO bei The What If. Er setzt sich für lösungs- und dialogorientierten Journalismus ein und vereint innovativen Journalismus mit den aktuellen Entwicklungen in Konfliktregionen. 

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