Wachstum, das lehrt uns das Silicon Valley in großer Regelmäßigkeit, ist in den ersten Monaten eines Startups die einzig entscheidende Größe. Wohl dem, der sich eine starke Präsenz in sozialen Medien aufgebaut hat und auf eine Fan-Basis (oder Community) setzen kann, wenn er/sie ein eigenes Angebot startet. Wie wichtig das ist, zeigt eine Geschichte, die Clio Chang in ihrem lesenswerten Essay „The Substackerati“ erzählt. Demnach setzt Substack bei der Einschätzung, ob jemand mit einem bezahlten Newsletter auf der Plattform erfolgreich sein wird, auf den „Baschez Score“ (benannt nach einem ehemaligen Substack-Mitarbeiter, Nathan Baschez), der die Twitter-Interaktionen eines Accounts in seiner Followerschaft auswertet.
Anders als viele Kolleg:innen in den USA haben Lokaljournalist:innen in Deutschland nur wenige Follower:innen, womöglich nicht mal einen Twitter-Account. Sie fangen mit einem eigenen Angebot quasi bei Null an und müssen erst einmal wachsen, wachsen, wachsen. In anderen Worten: Marketing betreiben. Bei meinen Recherchen zur creatory economy habe ich herausgefunden, dass Journalist:innen ihre Arbeit auch im Jahr 2021 immer noch sehr ungerne selbst bewerben. Selbstmarketing ist vielen Kolleg:innen fremd und unangenehm. Das ist ein Problem. Wer als creator Erfolg haben will, muss für sein Produkt nicht nur einstehen, er muss es aktiv bewerben und Wege finden, wie andere es für ihn tun. Am besten schon vor dem Start. Nur wie?
Dani Woytewicz, Formatentwicklerin für das Content-Netzwerk Funk beim WDR, spricht sich in einer Folge von „Was mit Medien“ (ab Minute 50:01) nachdrücklich für die Ausarbeitung einer Reichweiten- und Distributionsstrategie vor dem Launch aus und gibt zahlreiche Tipps. Sie empfiehlt etwa, Influencer-Accounts aus der Zielgruppe zu identifizieren und sie als Multiplikatoren zu nutzen, etwa, weil sie das neue Angebot spannend finden (seeding). Sie rät, diese Menschen schon in der Entwicklung des Produktes einzubinden und sie um Feedback zu bitten (hier ein Beispiel aus dem BR). Zum Start sollten sie mit optimierten Texten und Fotos gefüttert werden, damit sie deine Botschaft optimal verbreiten. Vielleicht lassen sie sich auch für Gastbeiträge gewinnen (auf die sie wiederum in ihren Kanälen hinweisen), vielleicht kannst du in ihren Produkten auftreten und Werbung machen, wenn die Zielgruppen sich überschneiden (crosspromotions). Nutze auch deine Abonnent:innen, indem du sie aktiv darum bittest, deinen Newsletter weiterzuleiten; so wächst dein Angebot, und du siehst, dass dein Produkt ankommt.
Überlege auch, für welche andere Medien der Start deines Newsletters ein Thema sein kann. Die direkte Konkurrenz aus der Verlagswelt wird dich eher nicht unterstützen, aber was ist mit der Reporterin aus dem öffentlich-rechtlichen Sender, zu der du ohnehin noch einen guten Draht hast? Es lohnt sich darüber hinaus, über analoge Marketingmaßnahmen nachzudenken, über Sticker, Flyer oder einen Werbestand auf Veranstaltungen (in der Post-Corona-Zeit natürlich). Frage dich außerdem, in welchen lokalen Facebook-Gruppen dein Angebot auf Interesse stoßen könnte und in welchen sozialen Medien du Accounts anlegen solltest, um für dein Angebot zu werben.
Ein Universalrezept gibt es leider nicht. Ich unterstütze aktuell zwei Kollegen bei ihren Bemühungen, ihre kostenlosen Newsletter wachsen zu lassen. Beide haben nach ein paar Wochen einen Sockel an Abonnent:innen erreicht und wachsen nur noch sehr langsam. Wer diesen Punkt erreicht, muss sich etwas einfallen lassen, ausprobieren, neue Wege gehen.
Der kanadische Unternehmer Andrew Wilkinson etwa hat 2019 ein faszinierendes Experiment gestartet und einen Journalisten bezahlt, um die wichtigsten Nachrichten aus seiner Heimatstadt Victoria auf Vancouver Island in einem kompakten Newsletter zusammenzutragen. Er hat 200.000 Dollar in Facebook- und Instagram-Anzeigen investiert, um Abonnent:innen zu gewinnen. Heute hat sein Capital Daily-Newsletter mehr als 45.000 Leser:innen und ist damit eigenen Angaben zufolge größer als die 100 Jahre alte Zeitung, The Times Colonist. Die Anzeigenkunden stehen Schlange, um bei ihm im Newsletter zu inserieren; das Projekt ist profitabel. (Die ganze Geschichte gibt es in diesem Thread auf Twitter.)
Diese Fragen sollten jetzt beantwortet sein:
- Wie sieht deine Distributionsstrategie zum Start aus?
- Wie willst du auch nach dem Start für kontinuierliches Wachstum sorgen?