Abschlussarbeiten im Media Lab | 12.12.2025
Wie VR-Hochwasser unsere Klima-Risikowahrnehmung schärft
Seit Jahrzehnten warnt die Wissenschaft vor den schwerwiegenden Folgen des Klimawandels und fordert Anpassungsmaßnahmen zur Bewältigung von Klimarisiken. Die meisten Menschen sind sich der Gefahr auch bewusst. Doch paradoxerweise passen wir uns trotzdem kaum an. Woran liegt das? Und wie können wir VR einsetzen, um dieses Defizit auszugleichen?
Klimamigration – ein Risiko für alle außer mich?
Wir alle kennen die Berichte über das klimawandelbedingte Ansteigen des Meeresspiegels, haben in der Schule gelernt, dass das 'ewige Eis' längst begonnen hat zu schmelzen und sehen Bilder von Menschen, die durch extreme Überschwemmungen ihr zuhause verlieren oder gar sterben. Trotz der Appelle aus der Wissenschaft, Politik oder der (Zivil-)Gesellschaft, die uns vor drastischen Klimarisiken warnen, reichen die Bemühungen zur Anpassung an solche Klimarisiken auf individueller Ebene nicht aus.
Einfache Anpassungsmaßnahmen, wie das Abschließen einer Elementarschadenversicherung oder das Vorhalten von Sandsäcken, werden kaum umgesetzt oder sind gar nicht als mögliche Anpassungsmaßnahmen bekannt. Das wirkt sich bereits heute auf das Leben in Deutschland aus: Durch den aktuellen Klimawandel verursachte Extremwetterereignisse haben gravierende Konsequenzen bis hin zu dadurch bedingter Migration; vor allem in Form von Vertreibung durch Katastrophen – auch in Deutschland.
Im Jahr 2021 gab es in Deutschland in Folge des Hochwassers in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ('Ahrtalhochwasser') rund 16.000 „internal displacements by disasters“. Das bedeutet: 17.000 Menschen verloren ihr Zuhause und mussten kurzfristig fliehen oder permanent umsiedeln. In den nächsten Jahren dürfte diese Zahl laut klimatologischen und migrationswissenschaftlichen Prognosen deutlich steigen.
Als mögliche Ursache fehlenden Handelns wird in der Forschung eine psychologisch distanzierte Wahrnehmung von Klimawandelfolgen diskutiert. Das vierdimensionale Konzept der psychologischen Distanz geht davon aus, dass Klimarisiken hypothetisch, zeitlich, räumlich und sozial entfernt wahrgenommen werden. Vereinfacht gesagt heißt das, wenn wir an konkrete Klimawandelfolgen, wie klimawandelbedingte Migrationsbewegungen denken, denken wir häufig nicht an 'heute', 'hier' oder an 'ich'. Wir denken vielleicht an das nächste Jahrhundert, an ferne Regionen und an alle anderen, aber nicht an uns selbst. Der Klimawandel und seine Folgen kommen uns also in mehrfacher Hinsicht entfernt vor; wir nehmen eine psychologische Distanz wahr. Gründe für eine solche psychologische Distanz können in einer distanzierenden Kommunikation oder in fehlender Erfahrung mit konkreten Klimawandelfolgen, wie Hochwassern oder Waldbränden liegen.
Experimentieren mit VR im Kontext von Klimawandel
Eine psychologische Distanz zu Klimarisiken – so die aus der Forschungsliteratur hergeleitete Annahme meiner Forschungsidee – kann durch effektive Kommunikation, die Klimarisiken als 'nahe' Risiken framet, reduziert werden. Immersive Medien können Informationen nicht nur zielgruppengerecht transportieren, sie können auch ein reales Erlebnis reproduzieren. Der Einsatz von VR zur Reduzierung psychologischer Distanz setzt damit ganz unmittelbar an den in der Forschungsliteratur genannten Entstehungsgründen psychologischer Distanz an: Kommunikation und Erfahrung.
Trotz des Potenzials ist der Einsatz von VR zur Kommunikation im Kontext klimawandelbedingter Migration quasi nicht erforscht. In meiner Masterarbeit habe ich im Rahmen eines Mixed-Methods-Designs erstmals die psychologische Distanz zu Klimamigration untersucht. Dabei habe ich das Potenzial erforscht, die jeweils gemessene psychologische Distanz zur Klimamigration mithilfe einer Virtual-Reality-Hochwassersimulation zu verringern und gleichzeitig die Anpassung an den Klimawandel zu fördern.
Die 52 Proband*innen erlebten in der von mir konzipierten und programmierten virtuellen Welt ein Flusshochwasser im Jahr 2025 in Bayern. Um der Gefahr des ins Haus eindringenden Wassers zu begegnen, unternahmen sie konkrete Anpassungsmaßnahmen, wie das Verbauen von Rückstauklappen. Die von den Proband*innen während der Studie getätigten verbalen Äußerungen gingen als qualitative Daten in meine Untersuchung ein. Sie ermöglichten detaillierte Einblicke in das Erleben während des virtuellen Hochwassers und erleichterten Interpretation der quantitativ erhobenen Daten.

Klimakommunikation: Was VR bewirken kann
Die Ergebnisse meiner Studie zeigen ein klares Bild:
Erstens: Vor der VR-Intervention war die psychologische Distanz zu Klimamigration deutlich höher als die psychologische Distanz zum Klimawandel. Das bedeutet: Klimamigration wird als deutlich entfernteres, für Deutschland weniger relevantes Risiko wahrgenommen.
Zweitens reduzierte die VR-Intervention die psychologische Distanz zu Klimamigration in allen vier Dimensionen – hypothetisch, zeitlich, räumlich und sozial – signifikant, während zum Klimawandel nur die zeitliche Distanz verringert wurde. Das Ziel, eine mögliche psychologische Distanz zu Klimamigration zu reduzieren, war damit klar erreicht. Gleichzeitig lohnt sich ein Blick auf die Details: Die Simulation funktionierte gerade für die Personen gut, für die sich Klimamigration besonders weit weg angefühlt hatte. Spannend war außerdem, dass die Simulation unterschiedlich starke Auswirkungen nach Altersgruppe und Wohnobjekt (Haus vs. Wohnung) der Proband*innen hatte.
Und drittens spielte die Reduktion psychologischer Distanz durch das VR-Erlebnis eine signifikante Rolle für die Klimawandelanpassung und die individuelle Risikowahrnehmung. Bei den Personen, bei denen sich die psychologische Distanz besonders stark reduzierte, wurde die Bereitschaft für Klimawandelanpassung überproportional stark gefördert.
Zusammenfassend zeigen diese Ergebnisse, wie groß das Potenzial von Virtual Reality zur besseren Kommunikation von Klimarisiken ist. Nicht nur, um psychologische Distanz zu reduzieren, sondern auch, um Klimawandelanpassung zu fördern. Das eröffnet vielfältige Einsatzmöglichkeiten: Zum Beispiel in der Bildungsarbeit, in der Risiko- und Katastrophenvorsorge oder in der Schulung politischer Entscheidungsträger*innen und kommunaler Akteure. Gerade dort, wo Klimarisiken bislang als 'fern' wahrgenommen werden, kann Virtual Reality helfen, die Risikowahrnehmung zu schärfen und Handlungsbereitschaft zu fördern.
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