Inspiriert von der New York Times habe ich dann begonnen meine Lösung zu entwickeln, aber auch schnell festgestellt, dass die Lösung so nicht ausreichend sein wird. Außerdem ist natürlich klar, dass eine Lösung alleine nicht alles lösen kann. Trotzdem glaube ich, dass die User-Reaktion auf Content ein wichtiger Baustein für Targeting werden kann.
Der Ansatz ist erstmal eigentlich ganz simpel. Eine Stichprobe der User wird regelmäßig zur Reaktion auf Inhalte befragt, z.B. wird nach dem Lesen eines Artikels ein Pop-Up mit einer kurzen Frage angezeigt. Aus diesen Umfragedaten werden dann zusammen mit dem Content Trainingsdaten generiert. Mit Hilfe dieser Trainingsdaten werden dann Modelle trainiert, welche die Vorhersage der Reaktionen auf den Content erlaubt. Diese werden dann bei Aussteuerung der Werbung mit einbezogen.
Die Lösung ist in dieser Form aber noch unzureichend. An dieser Stelle nochmals ein großes Dankeschön an all meine Interviewpartner, die direkt oder indirekt die folgenden Anpassungen angeregt haben:
Ein einmaliges oder auch nur regelmäßiges Trainieren der Modelle ist, wie die Covid-19-Krise gezeigt hat, nicht ausreichend. Es gibt laufend kleinere und größere Veränderungen in der Wahrnehmung verschiedener Themen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, auf die reagiert werden muss.
Je nach Publisher gibt es auch im Special-Interest und Fachbereich eine gewisse Bandbreite von Themen und damit auch eine gewisse Bandbreite von Audiences. Durch unterschiedliche Content-Cluster soll eine zu starke Verallgemeinerung der Aussagen verhindert werden.
Am wichtigsten ist aber: Welche Reaktionen für Werbekunden relevant sind, kann sehr unterschiedlich sein. Während ein Finanzdienstleister eher an Dimensionen wie Sicherheit bzw. Verunsicherung interessiert ist, kann es für einen Maschinenbauer sinnvoller sein Werbebotschaften an User zu richten, die bereit für Veränderung sind und die Ausspielung an solche User zu vermeiden, die sich überfordert fühlen. Und im Sinne der Brand Safety der Werbekunden kann es z.B. für ein Medizinportal darum gehen bei besonders aufwühlenden Artikeln zu Krankheiten Werbung zu vermeiden. Die Lösung soll es also dem Publisher ermöglichen individuelle Reaktionen zu ermitteln, die für das eigene Themengebiet und die wichtigsten Werbekunden und -kampagnen relevant sind.
In Summe wird so nicht der einzelne User für den Publisher durchsichtig oder “gläsern”, sondern der Content. Die Wirkung des Inhalts wird für den jeweiligen Publisher systematisch ermittelt und in der Werbevermarktung genutzt. Es gehört sicher nicht zu den Kernkompetenzen eines Publishers zu wissen, wie hoch das Haushaltseinkommen eines Users ist, ob er plant eine Waschmaschine zu kaufen oder ob er einen aktuellen Browser verwendet. Im Gegensatz dazu ist es für den Publisher entscheidend zu wissen, wie der Content auf die eigenen User wirkt. Die ambitionierte, unvollendete und durchaus kritische Vorstellung vom gläsernen Kunden wird so von der Vorstellung vom gläsernen Content abgelöst.