Abschlussarbeiten im Media Lab | 05.07.2025
Parasoziale Beziehungen: Freundschaft als Währung

In der Creator Economy von heute ist das Gefühl der Nähe entscheidend für den Erfolg: Parasoziale Beziehungen stärken Creator-Follower-Beziehungen, trans-parasoziale Beziehungen führen zu Communitys – und schaffen Umsatz. Was die Medienbranche davon lernen kann.
Die Creator Economy lebt von Nähe
Die Creator Economy beschreibt ein digitales Wirtschaftssystem, in dem Einzelpersonen durch Content-Erstellung, Community-Building und Plattform-Monetarisierung wirtschaftlichen Wert generieren.
Plattformen wie Instagram, TikTok oder YouTube fungieren dabei nicht nur als technische Infrastruktur, sondern gestalten durch ihre Algorithmen aktiv mit, was sichtbar ist. Diese „Platformization“ beeinflusst, welche Inhalte Reichweite erhalten – und wie sich der wirtschaftliche Erfolg verteilt.
Im Zentrum dessen stehen Creator, die durch kreative Inhalte Menschen um sich versammeln. Creator sind heute nicht mehr nur Konsumenten oder Produzenten, sondern beides gleichzeitig - und schaffen so digitale Communitys, die nicht nur Inhalte konsumieren, sondern sich als Teil einer Gruppe verstehen. Diese Gemeinschaften stützen sich auf Interaktion, Zugehörigkeit und oft auch auf parasoziale Beziehungen – also das Gefühl, einer Person digital nah zu sein, ohne ihr persönlich zu begegnen.
Monetarisieren lässt sich diese Beziehung über vier Felder: Content (z. B. gesponserte Posts, Paywalls), Commerce (Produktverkauf), Context (Crowdfunding) und Connection (Mitgliedschaften, zum Beispiel über die Plattform Patreon). Die Creator Economy ist damit nicht nur ein neuer Wirtschaftszweig, sondern ein Indikator dafür, wie digitale Nähe zum Werttreiber werden kann – ökonomisch, kulturell und sozial.
Parasoziale Beziehungen damals und heute
In den 1950er-Jahren prägten die US-amerikanischen Soziologen Donald Horton und R. Richard Wohl den Begriff der parasozialen Interaktion. Sie beschrieben das Phänomen, dass Zuschauer*innen von TV-Shows sich mit Medienfiguren verbunden fühlten – obwohl keine echte Interaktion stattfand. Diese einseitige Beziehung entsteht durch die Illusion von Gegenseitigkeit, da das Verhalten der Medienfigur auf eine antizipierte Reaktion des Publikums ausgerichtet ist. Entwickelt sich diese Verbindung über längere Zeit, sprechen Forscher*innen von einer parasozialen Beziehung.
Solche Beziehungen erfüllen soziale Funktionen: Sie bieten Orientierung, emotionale Nähe oder das Gefühl von Zugehörigkeit – besonders dann, wenn reale soziale Kontakte fehlen. Parasoziale Beziehungen sind dynamisch, verlaufen ähnlich wie reale Beziehungen und können ebenso beendet werden.
Mit der Entwicklung des Web 2.0 und sozialer Medien entwickelte sich das Konzept weiter. Digitale Plattformen ermöglichen eine Nutzerbeteiligung durch Reaktionen, Kommentare und wechselseitige Kommunikation. Dadurch verändern sich auch parasoziale Beziehungen: Sie werden interaktiver, kollektiver und oft ko-kreativ gestaltet. Die Forschung spricht hier von trans-parasozialen Beziehungen.
Diese neuen Beziehungen beruhen auf Resonanz, Rückbezug auf Nutzerbeiträge und einem Gefühl des Mitgestaltens. Damit bilden trans-parasoziale Beziehungen ein zentrales Bindeglied in der Creator Economy – emotional, sozial und wirtschaftlich relevant.
Was die Forschung über Community-Dynamiken verrät
In meiner Masterarbeit habe ich untersucht, wie (trans-)parasoziale Beziehungen das Zugehörigkeitsgefühl und die Interaktion vor allem in Online-Communitys beeinflussen – und wie diese wiederum die Unterstützungsbereitschaft steigern. Dabei lag ein besonderer Fokus auf der Interaktion unter den Community-Mitgliedern, also einem komplexeren Beziehungsgeflecht als die 1:1-Beziehungen zwischen Creator und Follower.
Über 100 Teilnehmende haben an meiner quantitativen Online-Umfrage teilgenommen. Die Ergebnisse sind eindeutig:
- Je intensiver die trans-parasoziale Beziehung zum Creator, desto stärker das Zugehörigkeitsgefühl zur Community.
- Wer sich als Teil der Community sieht, interagiert häufiger mit anderen Mitgliedern.
- Genau diese Community-Interaktionen wirken sich signifikant auf die emotionale, verhaltensbezogene und sogar monetäre Unterstützungsbereitschaft gegenüber dem Creator aus.
Besonders spannend: Am höchsten war die Unterstützungsbereitschaft in den Content-Bereichen Business, Kreativität und Persönlichkeitsentwicklung. Dort, wo User die Inhalte als besonders individuell, emotional oder nützlich wahrgenommen haben. In den Bereichen Lifestyle oder Unterhaltung war sie deutlich geringer – trotz oft größerer Reichweite.
Wie Medienhäuser von parasozialen Beziehungen profitieren können
Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen, dass Creator heute nicht nur Inhalte produzieren, sondern durch trans-parasoziale Beziehungen stabile Communitys aufbauen – mit spürbarem wirtschaftlichen Effekt. Medienhäuser können und sollten sich davon inspirieren lassen.
Content allein reicht nicht. Wer langfristige Relevanz möchte, muss Beziehungen mitdenken. Das bedeutet: Identifikationsfiguren schaffen, dialogische Formate etablieren und echte Resonanz ermöglichen. In der Creator Economy sind Creator oft zugleich Host, Autor*in und Community Manager: Sie geben ihrem Content ein Gesicht – und ihrer Community eine Stimme.
Communitys brauchen Räume. Kommentarspalten reichen nicht aus. Erfolgreiche Creator schaffen gezielt Settings, die Austausch und Begegnung fördern – öffentlich wie privat. Medienhäuser könnten überlegen, wie sie eigene Plattformen zu Gestaltungsräumen weiterentwickeln, in denen strukturiert Beteiligung, Mitgestaltung und Beziehung möglich ist.
Relevanz entsteht durch Nähe. Das Gefühl, gesehen und gehört zu werden, wirkt stärker als jeder Algorithmus. Wer seine Rezipient*innen nicht nur als Klickzahlen behandelt, sondern als Teil eines sozialen Gefüges, kann Vertrauen, Zugehörigkeit und letztlich Bindung aufbauen.
In einer Zeit, in der die Mediennutzung fragmentierter und Vertrauen brüchiger wird, könnten genau diese Prinzipien entscheidend sein: Beziehung statt Reichweite. Verbundenheit statt Viralität. Medienhäuser haben die Chance, sich nicht nur als Informationsquelle, sondern als sozialer Anker neu zu positionieren – wenn sie bereit sind, Communitys nicht nur mitzudenken, sondern aktiv mitzugestalten.
Rachel hat nun das Förderprogramm für Abschlussarbeiten durchlaufen. Du hast auch ein spannendes Thema? Melde dich bei uns!