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06. Mai 2021
Mentor Insights, Start up Knowledge

Mit ethischen Fragestellungen auf Erfolgskurs - setze die Kompassnadel richtig

06.05.2021

Mit ethischen Fragestellungen auf Erfolgskurs: Setze die Kompassnadel richtig!

Die Forschungsarbeit „Start-up with Ethics“ kommt zu dem Ergebnis: Start-ups sollten ethische Fragestellungen unbedingt mitbedenken, wenn sie erfolgreich sein wollen. Im Rahmen einer Studie wurde eine konkrete Methode zur erfolgreichen Implementierung von ethischen Grundsätzen bei der Unternehmensgründung und Produktentwicklung entwickelt. Wir sprachen mit den Autor:innen der Publikation über den Stellenwert von Ethik und wie man ethische Grundsätze implementiert.

Text: Sabrina Harper
Foto: Media Lab Bayern

Ethische Fragestellungen an konkreten Beispielen

Der Skandal um das Startup "Pinky Gloves" hat kürzlich gezeigt, wie wichtig es ist, ethische Fragestellungen bei der Produktentwicklung mitzudenken. Was wäre gewesen, hätten sich die Gründer zum Beispiel gefragt: "Welche Bedeutung hat es, Menstruation und Hygieneprodukte für Frauen mit Adjektiven wie diskret, unsichtbar, schmutzig zu framen?" In einem zweijährigen Forschungsprojekt im Auftrag der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) haben sich Forscher:innen  der Hochschule der Medien in Stuttgart mit der Relevanz von ethischen Grundsätzen auseinandergesetzt. Auch Aspekte wie der Algorithmic Bias fallen in diesen Themenkomplex. Es wird beispielsweise das fiktive Beispiel genannt, dass eine Brücke nur für Autos aber nicht für Busse konstruiert wird. Obwohl man niemanden direkt diskriminiert, werden Menschen, die sich ein Auto leisten können, bevorzugt. Ärmeren Menschen, die den Bus benutzen, wird der Zugang zur anderen Seite der Brücke verwehrt. Wir sprachen mit Siegfried Schneider (Präsident der BLM), sowie den Autor:innen der Studie, Prof. Dr. Petra Grimm und Prof. Dr. Tobias Keber.

Prof. Grimm und Prof. Keber, sie haben sich nun intensiv mit Ethik in der Startup-Szene auseinandergesetzt. War das für sie ein naheliegendes Thema?

Petra Grimm: Vor allem in Europa werden ethische Standards zunehmend als Wettbewerbsfaktor und Industriefaktor relevant. Das zeigte auch schon die Studie des digitalen Wirtschaftsverbandes BVDW auf. 72 Prozent der Bundesbürger bevorzugen Produkte und Services, die sich an nachvollziehbaren ethischen Standards orientieren. 71 Prozent der Digitalunternehmen gaben an, dass solche Produkte bzw. Dienstleistungen erfolgreicher im Markt seien. In der Praxis der Unternehmen scheitert es aber daran, wie Ethik systematisch implementiert werden soll. Das ist auch für Startups schwierig. Sie werden in der Gründungsphase wenig mit der Thematik „Ethik“ konfrontiert oder damit allein gelassen.

Tobias Keber: Wir wollten einen Kontrapunkt dazu setzen. Aus dem Silicon Valley kommt der Leitsatz „Move fast, break things“. Als Gegenpol könnte man hierzulande sagen: Wir sind ein Startup und wollen innovativ sein, das heißt aber nicht, dass wir nicht mehr nachdenken und unsere Kunden und Werte aus den Augen verlieren. Also ein Gegenmodell zu „Digitalisierung first, Bedenken second“. Wir würden sagen, man muss beides gleichzeitig machen – so unsere These.

Petra Grimm: Startups haben eben auch den entscheidenden Vorteil, dass sie schnell entscheiden und Aspekte wie Ethik ohne viele Entscheidungsebenen in ihr Geschäftsmodell implementieren können.

Prof. Dr. Petra Grimm

Seit 1998 Professorin für Medienforschung und Kommunikationswissenschaft an der Hochschule der Medien (Stuttgart). Sie ist Leiterin des Instituts für Digitale Ethik (IDE) und Ethikbeauftragte (Medienethik) der Hochschule der Medien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind „Digitalisierung der Gesellschaft“, „Ethics by Design und Künstliche Intelligenz“, „Narrative Ethik“ und „Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen“. Hierzu hat sie zahlreiche Publikationen veröffentlicht.
 

Hat sich denn in ihrer Untersuchung herausgestellt, dass Startups zu wenig über Ethik nachdenken oder den Aspekt ausklammern?

Tobias Keber: Das war sehr unterschiedlich. Unser Eindruck bei den befragten Startups war, dass das ein oder andere Unternehmen schon sehr ethisch denkt. Es gibt aber auch die andere Seite, die nur die Funktion eines Produktes im Blick hat. Es war also alles dabei.

Petra Grimm: Diejenigen Startups, die noch nicht so mit diesen Werte-Fragen konfrontiert waren, haben schon instinktiv gespürt, dass sie mehr Expertise brauchen. Konnten sich aber so abstrakt noch nicht viel unter Ethik vorstellen. Wenn man dann aber in ihre Alltagsfragen hineingeht, dann erkennen sie recht schnell, dass zum Beispiel das Privacy by Design oder Bias und all diese Dinge durchaus in ihrem alltäglichen Handeln eine Rolle spielen. Nur wurden diese Aspekte bisher nicht unter dem Etikett "Ethik" reflektiert.

Was fällt denn unter den Aspekt "Ethik" nach ihrem Verständnis?

Petra Grimm: Hier gibt es vielfältige Aspekte: Ein Bereich sind mögliche Diskriminierungen, z.B. wenn es um die Bewertung von Menschen geht. Wie etwa bei Social Scoring bei Kreditvergabe, Jobbewerbung oder Prämien; oder wenn künstliche Vorhersagesysteme eingesetzt werden. Im Medienbereich geht es um mögliche Risiken für Nutzer und Nutzerinnen, wie etwa Kinder oder andere Schutzbedürftige. Ein weiteres Feld sind Investoren und die Frage, ob man mit Investoren zusammenarbeiten kann, die ein anderes Verständnis haben als man selbst. Auch interne Fragen im Team, z.B. wie soll ein Bezahlsystem funktionieren, fällt in einen ethischen Bereich. Zum Beispiel die Frage, wie findet Vergütung statt? Nach Leistung, Aufwand oder Value Impact? Die Spannbreite von Ethik ist sehr groß.

Tobias Keber: Ethik ist ja zunächst Mal Reflexion. Angenommen jemand baut eine App, dann ist es kein großer Schritt zu fragen: Was passiert mit den Nutzer:innen meiner App. Ein Ethiker würde aber immer auch fragen: Was passiert mit den Leuten, die meine App nicht benutzen. Das war beispielsweise Diskussionsgegenstand bei der Corona-Warn-App oder der Luca-App. Ist die Verweigerung eines freiwilligen Produkts in diesem Fall in Ordnung?

Wie meinen sie das genau: Die Nicht-Nutzenden soll man mitdenken, um sie bestenfalls vom Produkt zu überzeugen?

Tobias Keber: Nein, nicht zwingend. Es kann auch ethisch geboten sein, dass es okay ist, dass manche die App nicht nutzen und man vielleicht sogar den Grundsatz der Freiwilligkeit schützen muss, damit es bei der selbstbestimmten Entscheidung bleiben kann.

»Eine Methode entwickelt für die Straße.«
Prof. Dr. Tobias Keber

Warum setzt die BLM einen Schwerpunkt auf ethische Fragestellungen?

Siegfried Schneider: Die BLM will den digitalen Wandel mitgestalten. Aufgrund von Digitalisierung und Globalisierung werden dabei Vertrauen und Wertorientierung immer wichtiger – auf Seite der Nutzerinnen und Nutzer, der Unternehmen und häufig auch der Investorinnen und Investoren. Daher unterstützt die BLM Startups mit dem Forschungsprojekt und dem daraus entstandenen Workbook „Start-up with Ethics“. So lassen sich ethische Überlegungen und Wertemaßstäbe bereits in den Gründungsprozess integrieren.

Welche Bedeutung spielt Ethik in der Medienbranche?

Petra Grimm: Die Medienbranche ist ethisch sehr sensibel. Wir hatten es immer wieder mit ethischen Wirkungsfragen in den Medien zu tun, wie etwa bei Gewaltdarstellung, Demokratieverträglichkeit, Meinungsbildung oder ähnlichem. Wir konsumieren heute nicht nur Medien, sondern leben in einer mediatisierten Welt. Das heißt, Medien sind mit unserer alltäglichen Welt verwoben und werden so auch Teil unseres Wertekosmos. Gerade für die Medienbranche ist ein Ethics-by-Design-Ansatz wichtig, weil sie damit bestimmte Anforderungen proaktiv aufnehmen kann. Das betrifft die Wirksamkeit der Medien auf die Gesellschaft, den einzelnen Menschen und Schutzbedürftige. Es geht nicht nur darum, was die Kundschaft will, sondern auch darum, welche Verantwortung das Medienunternehmen trägt. Diese Frage haben sich bisher die etablierten Medien schon häufiger gestellt, neuere Medien, etwa Soziale Medien, machen das noch nicht so stark.

Tobias Keber: Die traditionelle Presse hat eine journalistische Berufsethik, es gibt niedergeschriebene Standards oder den Presserat. Man reguliert sich selbst unter ethischen Vorzeichen. Das hat lange Zeit vergleichsweise gut funktioniert und wächst nun in die neuen Medien hinein. Es ist allerdings auch so, dass der Gesetzgeber nun sagen musste, dass Soziale Medien mehr machen müssen. In diese Richtung geht ja auch der neue Medienstaatsvertrag. Neue Akteure und Akteurinnen müssen diesbezüglich noch sensibler werden.

Prof. Dr. Tobias Keber

Prof. Dr. iur.; Professur für Medienrecht und Medienpolitik in der digitalen Gesellschaft an der Hochschule der Medien Stuttgart. Lehrbeauftragter für Medien- und Internetrecht an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz sowie an der Hamburg Media School. Tobias Keber ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit (GDD) sowie Leiter des Bereichs Recht am Institut für Digitale Ethik (IDE) an der Hochschule der Medien.
 

Stichwort Ethics by Design: In diesem Kapitel sprechen sie im Workbook ein Thema an, das in den USA unter den Begriffen Algorithmic Bias oder Technological Bias schon Aufmerksamkeit erfährt. Es geht um die Exklusion von Gruppen, weil sie beim Produktdesign nicht mitgedacht wurden. Würden Sie uns dieses Problem nochmals kurz veranschaulichen?

Petra Grimm: Ein klassisches Beispiel aus dem Bereich Bewerbung ist die Amazon-Recruiting-KI. Diese wurde so trainiert, dass sie auf Grundlage der Datensätze Männer als bevorzugte Kandidaten identifizierte. Bewerbungen mit weiblichen Signalworten, wie „Hobby: Frauen-Schachclub“, wurden schlechter bewertet. Wenn ethische Fragestellungen vernachlässigt werden, kann das durchaus ein Killereffekt sein. Ein aktuelles Beispiel dafür wäre Pinky Gloves, aber es gibt auch noch viele andere Beispiele.

Tobias Keber: Man kann schon sagen, die Gründer von Pinky Gloves haben kein Ethics bei Design gemacht. Die partizipative Produktentwicklung kam zu kurz. Das bedeutet, ich binde meine Kunden und Kundinnen von Anfang an mit ein. Wir haben im Lehrbuch ein Beispiel mit smarten Handschuhen, die Gebärdensprache übersetzen. Auch diese Gründer:innen haben ihre Zielgruppe nicht wirklich einbezogen. Denn die Zielgruppe hätte gesagt, es geht um den Gesamtkontext aus Lippenbewegung, Körpersprache und so weiter. Übertragen auf Pinky Gloves: Hätte man bei Frauen gefragt, ob sie mit dem Produkt etwas anfangen können und ob die Entwicklung in die richtige Richtung geht, dann hätten die Gründer wahrscheinlich weitaus früher ein dementsprechendes Feedback bekommen und es wäre gar nicht so weit gekommen, wie es letzten Endes kam.

Siegfried Schneider

Seit 1. Oktober 2011 Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), außerdem seit 2019 Vorsitzender der Technischen Konferenz der Landesmedienanstalten (TKLM). 2016 bis 2017 war er Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) und der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK); 2011 bis 2015 Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM); 2008 bis Februar 2011 Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, sowie von 2005 bis 2008 Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus.

Warum spielen ethische Fragestellungen eine explizite Rolle in der Startup-Szene?

Siegfried Schneider: Weil Ethik nicht nur für nachhaltige Unternehmen, sondern auch für Startups von Beginn an wichtig ist. Bei einer guten Geschäftsidee sollte es nicht nur um Technik und Organisation gehen. In unser aller Sinne müssen auch Werte eine Rolle spielen. Ich bin sicher: Nur wer auch auf ethische Standards setzt, wird am Markt langfristig Erfolg haben.

Wie können wir es besser machen? Der Ansatz, der aus "Start-up with Ethics" resultiert, ist die sogenannte SEC-Methode. Das Akronym steht für "Start-up with Ethics Compass". Damit sollen Startups ethische Grundsätze in ihrer Entwicklung berücksichtigen können. Wie setzt sich die Methode zusammen?

Petra Grimm: Ein Kompass kann die Richtung anzeigen, schreibt aber das Ziel nicht vor. Die Methode ist auf die individuellen Bedarfe der Startups angepasst. Wir haben einen stufenartigen Prozess vorgesehen. Als Erstes muss man den Kompass kalibrieren. Das geschieht in der Core-Story. Dann muss man den Wertehorizont definieren, also wofür  ein Startup steht. Darauf aufbauend ist die Sinnerzählung. Dann folgen die Netzwerke, die die verschiedenen Perspektiven der Stakeholder einbeziehen. Und schließlich auf der operativen Ebene die Frage: Wie kann man Ethik in das Alltagsgeschäft implementieren?

Bild: M. Hohendanner/T. Fischer

 

Die einzelnen Bausteine untergliedern sich nochmals. Innerhalb der Core-Story wird beispielsweise darauf eingegangen, wie eine Geschichte erzählt wird, oder innerhalb der Werte wird das sogenannte Aktantenmodell vorgestellt. Das ist alles sehr vielschichtig. Wie haben sie es geschafft, diese ganzen Themenkomplexe zu bündeln?

Petra Grimm: Wir haben uns aufs Wesentliche konzentriert. Es war unser Anliegen, die Startups Schritt für Schritt durch die ethischen Fragestellungen beim Prozess der Geschäftsmodell-Entwicklung zu führen. Die SEC-Methode verwendet vor allem auch narrative Werkzeuge und bleibt so immer nahe an der Erfahrungsgeschichten der Gründer:innen und ihrer Stakeholder. Das Workbook „Start-up with ethics“ ist gewissermaßen das „Kochrezept“ zu dieser Methode.

»Man kann es sich heutzutage nicht mehr leisten, nicht über Ethik nachzudenken.«
Prof. Dr. Petra Grimm

Was bedeutet die Auswertung für die Medienlandschaft?

Siegfried Schneider: Das Workbook bietet – als Ergebnis einer zweijährigen Forschungsarbeit – eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für den individuellen Bedarf eines Startups. Mithilfe eines innovativen und praxisorientierten Ethik-Kompasses finden Startups Orientierung und Hilfestellung zu allen ethischen Fragestellungen rund um ihr Geschäftsmodell. So etwas gibt es auf dem deutschen Markt bisher nicht.

Petra Grimm: Wenn mehr und mehr Startups sich Gedanken zu Ethik machen, kann sich daraus auch ein Schneeballeffekt entwickeln. Umso mehr Menschen die SEC-Methode anwenden, umso eher ergibt sich eine Breitenwirkung in die Medienlandschaft hinein. Man muss sich auch darüber bewusstwerden, dass wir aktuell eine Trendwende erleben. Der Ruf nach einem „Ethical Turn“ im Business wird stärker. Das ist auch gekoppelt mit der Frage nach Nachhaltigkeit. Für Startups kann das zum Beispiel auch schon eine Finanzierungsvoraussetzung sein, wenn Investoren nach Nachhaltigkeit fragen.

Wie geht es nun mit "Start-up with Ethics" weiter?

Siegfried Schneider: Wir denken gerade darüber nach, künftig auch Workshops für Medienstartups zum Thema Ethik anzubieten. Wir wollen das Thema verstetigen. Jedes Startup sollte sich schon bei der Gründung fragen: Für welche Werte stehe ich? Ethisches Bewusstsein wird in Zukunft den Unterschied machen.

Vielen Dank für das Interview!

Das Workbook ist im kopad-Verlag erschienen. Die ISBN lautet: 3968480244

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