Media Research & Development | 18.12.2020

Mehr Sichtbarkeit für Migrantinnen - ein Gap in der deutschen Medienlandschaft

Die deutsche Medienlandschaft ist wenig divers. In den reichweitestärksten Medienhäusern gibt es keine Chefredakteur:innen mit nicht-europäischer Herkunft - und so gut wie keine Frauen. Migrantische Frauen sind doppelt unsichtbar: Als Journalistinnen und Medienschaffende haben sie in Deutschland kaum Perspektiven. Als Leserinnen fühlen sie sich wenig angesprochen und kaum repräsentiert. Die Leerstelle will als mehrsprachiges Online-Magazin genau diese Gap schließen: Mit Beiträgen von, für und über Migrantinnen in Deutschland.

Mein Name ist Alice Backwell und in den letzten zwei Monaten hatte ich das Privileg, meine Idee für ein Medienformat zu entwickeln, welches sich an Migrantinnen und ihre Allies wendet. In den letzten Jahren habe ich mich in unterschiedlichen Projekten mit Fragen der Repräsentation, intersektionalen Diskriminierung und Inklusion beschäftigt: Zum Beispiel mit der Diskriminierung von Frauen und LGBTQ+-Personen im Sport oder mit diskriminierungssensibler und inklusiver Club-Kultur. Auch meine eigenen Erfahrungen prägen mich. Als Bürgerin eines nicht-europäischen Landes habe ich die letzten acht Jahre damit verbracht, mein Berufsleben in Deutschland aufzubauen. Im vergangenen Jahr dachte ich über die Herausforderungen nach, die ich bewältigen musste. Außerdem hinterfragte ich meine Privilegien innerhalb der Community von Menschen mit Migrationshintergrund. Die Leerstelle ist für mich die logische Konsequenz dieser Erfahrungen und Auseinandersetzungen. Die Leerstelle identifiziert Leerstellen - um sie zu schließen.

Als ich nach Deutschland kam, hatte ich den großen Vorteil, dass ich schon Deutsch konnte. Ich war als Übersetzerin für Freund:innen bei Behördengängen tätig und half darüber hinaus oft, indem ich den Kontext wichtiger gesellschaftlicher Themen auf der Grundlage dessen, was ich in den Nachrichten gelesen hatte, erklärte. Dadurch wurde mir klar, dass ein Mangel an Informationen und wichtigen Kontexten, die durch die Medien gewonnen werden, nicht bei Migrant*innen ankommt. Aber auch sie sind Teil der Gesellschaft.

Die Sprachbarriere ist die offensichtlichste Herausforderung für den Zugang von Migrant:innen zu den Medien in Deutschland. Es gibt aber auch andere Herausforderungen wie zum Beispiel fehlende Netzwerke, mangelndes Wissen über Dienstleistungen und Ansprüche, sowie unterschiedliche Normen und Erwartungen. Zu all dem hinzu kamen aus meiner Sicht zwei wichtigen Studien aus diesem Jahr. Darin wurde die mangelnde Repräsentation von Migrant:innen in den Medien beleuchtet:

Gerade migrantische Frauen und LGBTQ+-Personen sind auf mehreren Ebenen mit Ausschlüssen, Barrieren und Diskriminierung konfrontiert: Sowohl als Journalist:innen und Medienschaffende, als auch als Leser:innen. Deshalb will die Plattform “Leerstelle” genau diese Zielgruppe adressieren.

Ausgehend von meinen Beobachtungen und der Hypothese, dass Migrantinnen Schwierigkeiten haben Zugang zu gesellschaftlichen Diskursen durch deutsche Medien zu erhalten, führte ich Nutzerinnen-Interviews durch. Dazu sprach ich mit Migrantinnen aus verschiedenen Berufen, mit verschiedenen Hintergründen und verschiedenen Nationalitäten. Die Interviews waren aufschlussreiche, nachdenkliche Gespräche, die mich mit Migrantinnen aus ganz Deutschland in Kontakt brachten. Auf die Frage nach dem Zugang zu den Nachrichten und anderen wichtigen Informationen in Deutschland berichteten meine Interviewpartnerinnen häufig, dass sie auf Informationen von Freund:innen und Familienmitgliedern angewiesen seien. Außerdem werden Facebook-Gruppen häufig genutzt, um Informationen zu finden. Allerdings stoßen die Frauen immer wieder an Grenzen. Beispielsweise wünschen sich die Befragten eine größere Vielfalt an Themen und sind sich auch darüber bewusst, dass Informationen in Facebook-Gruppen unzuverlässig sein können.  

“Ich will mich selbst in den Medien sehen können”

Auf die Frage nach der Darstellung von Migrant:innen in den Medien antworteten mehrere Gesprächspartnerinnen, dass sie ein einseitiges Gespräch zu Themen der Migration und Integration wahrnehmen. Insbesondere die mangelnde Sichtbarkeit der verschiedenen Perspektiven oder der Mangel von Vielfalt innerhalb der Berichte  kam zur Sprache. Mehrere Befragte äußerten, dass in den deutschen Medien eine sehr enge Sicht auf Migrant:innen dargestellt wird, mit der sie sich oft nicht identifizieren können. "Ich sehe keine Geschichten über Menschen, die aus anderen Lebensumständen als dem Krieg nach Deutschland gekommen sind", kommentierte eine Gesprächspartnerin.

Ein weiterer Aspekt sind Themen, die für Migrant:innen wichtig im alltäglichen Leben sind. Diese werden kaum in deutschen Medien behandelt. Das wären zum Beispiel Topics wie die Diskriminierung von Migrant:innen, Schwierigkeiten auf dem Jobmarkt, oder wo sie Unterstützung bei Behörden erhalten. "Ich bin mir immer noch nicht wirklich sicher, wie die Dinge funktionieren, weil die Medien aus deutscher Sicht Dinge wie Diskriminierung nicht abdecken", sagte eine Frau im Interview. Letztlich hat dies zur Folge, dass sich Migrantinnen durch die Medien von der deutschen Gesellschaft abgekoppelt fühlen. Die wichtige Botschaft, die ich von allen Befragten erhielt, war, dass sich Migrantinnen durch eine Publikation repräsentiert fühlen wollen, die zu ihnen spricht und ihre Themen vertritt.

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