Lab News | 01.02.2021

2021 ist ein guter Zeitpunkt, ein Medienimperium zu gründen

In der Corona-Krise haben prominente Journalist:innen in den USA ihren Job gekündigt, um sich mit einem bezahlten Newsletter auf Substack selbstständig zu machen. Wie attraktiv sind die Geschäftsmodelle der creator economy für deutsche Journalist:innen?

Von Thierry Backes


Mitten in der Corona-Krise haben namhafte englischsprachige Journalisten ihre nicht minder namhafte publizistische Heimat verlassen, um auf
Substack einen bezahlten Newsletter zu starten. Ob Casey Newton (vorher: The Verge), Matthew Iglesias (Vox.com), Glenn Greenwald (The Intercept), Anne Helen Petersen (BuzzFeed) oder Andrew Sullivan (New York Magazine) – sie alle wollen sich ihre Arbeit nicht mehr von ihrem Arbeitgeber bezahlen lassen, sondern direkt von ihrer loyalen Leserschaft.

Als Projektredakteur der Chefredaktion bei der Süddeutschen Zeitung und als Mitglied der ersten Kohorte des Executive Programs in News Innovation and Leadership an der CUNY in New York beschäftige ich mich intensiv mit Trends in der Medienbranche. In meinem R&D Fellowship habe ich mich gefragt: Wie attraktiv ist die sogenannte creator economy für Journalist:innen in Deutschland? Und laufen Verlage und öffentlich-rechtliche Anstalten jetzt Gefahr, die größten Talente an die neuen Plattformen zu verlieren?

Bezahlte Newsletter sind derzeit die meistdiskutierte Spielform der creator economy, und die oben genannten Autor:innen ihre prominentesten journalistischen Vertreter:innen. In der creator economy arbeiten Journalist:innen grundsätzlich nicht mehr für eine Publikation. Sie monetarisieren ihre Arbeit und Expertise selbst und verstehen sich als ihre eigene Marke. Es gibt ganz unterschiedliche Geschäftsmodelle auf dem Feld: Manche Kolleg:innen setzen auf bezahlte Inhalte, andere verlangen Geld für Webinare, Vorträge, Beratung oder den Zugang zu einer Community - oder probieren es mit einem rein werbefinanzierten Newsletter- oder Youtube-Angebot.

Doch bleiben wir bei bezahlten Inhalten: Laut Chris Best, CEO von Substack, verdienen die zehn prominentesten Autor:innen auf seiner Plattform zusammen zehn Millionen Dollar im Jahr, insgesamt zählt die Plattform mittlerweile 250.000 Abonnent:innen. Das deutsche Startup Steady, das bis vor kurzem hauptsächlich eine Paywall-Lösung für Webseiten angeboten hat, überweist alle acht Wochen rund eine Million Euro an die mittlerweile mehr als 1000 Medienmacher:innen, die von mehr als 100.000 Mitgliedschaften unterstützt werden.

Steigen 2021 also vermehrt Kolleg:innen aus ihren festen Verträgen aus, um in die eigene Tasche zu wirtschaften? Ich habe mit mehr als zwei Dutzend Journalist:innen und creators, Software-Anbietern, Medienexpert:innen und Leiter:innen von Journalistenschulen gesprochen, um das herauszufinden. Ich habe gezielt Kolleg:innen angesprochen, die aus meiner Sicht das Potenzial haben, mit einem eigenen Angebot Geld zu verdienen. Dafür habe ich zwei Kriterien herangezogen: Sie sollten in ihrem Themenfeld zu den Besten gehören, und/oder eine starke Präsenz in sozialen Medien haben. Sie sollten sich demnach eine eigene Leserschaft aufgebaut haben oder mit etwas Engagement aufbauen können.

Das habe ich bei meinen Recherchen herausgefunden:

Substack, Revue, Ghost, Lede, Patreon, Only Fans, Steady, ... – es gibt heute eine ganze Armada von Tools, die es einem so leicht wie nie zuvor machen, eine digitale Publikation zu gründen (oder ein „mini media empire“, wie es in der PR von Substack heißt). Alle diese Tools sind nicht perfekt, aber sie sind mit geringem Aufwand und ohne große Kosten sofort nutzbar; weitere Start-ups werden es schwer haben, aus dem Stand ein besseres Produkt anzubieten. Wenn man aktive creators fragt, was ihnen an den Tools fehlt, sind das tendenziell Kleinigkeiten. Einige monieren zum Beispiel den Preis: Substack oder Steady verlangen 10 Prozent des Umsatzes, das kürzlich von Twitter gekaufte Revue 5 Prozent. Bei Substack oder Revue lässt sich das Layout von Newslettern nur bedingt anpassen (Substack bietet Nutzern mittlerweile etwas mehr Flexibilität an). Ausbaufähig ist auch die Funktion, direkt aus dem Tool heraus eine Art Homepage zu generieren; Steady-Kund:innen können mittlerweile immerhin Posts direkt auf der Plattform veröffentlichen und per Mail an zahlende Mitglieder verschicken. Das Unternehmen bietet zudem ein Feature an, das „in Deutschland immer noch enorm wichtig“ ist, wie jemand sagt, der mit dem Unternehmen zusammenarbeitet: Leser:innen können ihren Mitgliedsbeitrag per Lastschriftverfahren zahlen.

Wer seinen festen Job kündigt, um sein eigenes Medienimperium aufzubauen, muss denken wie ein:e Unternehmer:in. Er/sie braucht einen Business-Plan, eine Zielgruppe und ein Produkt, muss sich mit Themen wie Vertrieb und Marketing auseinandersetzen. Das liegt nicht jedem. „Wenn ich das ernsthaft betreiben und damit Geld verdienen will, brauche ich einen Manager“, sagt ein Journalist, der eine eigene Seite betreibt, bis jetzt, ohne Einnahmen zu generieren. Ein Kollege, der wie er mit einem „ambitionierten Hobby-Projekt“ gestartet ist und mittlerweile seinen kompletten Lebensunterhalt damit verdient, sagt: „Ganz ohne Geschäftssinn geht es nicht.“ Er habe viel lernen müssen, schon, weil Entrepreneurship in der journalistischen Ausbildung keine Rolle spiele. Wie ein Unternehmer zu denken, das gehöre „nicht zu unserem journalistischen Selbstverständnis“, das eine strikte Trennung von Redaktion und Verlag vorsieht. Insbesondere das Thema (Selbst-)Marketing stößt Kolleg:innen auf. Eine sagt: „Es fällt mir schwer, Leute um Geld zu bitten.“ Das Trommeln für das eigene Produkt fühlt sich für viele „fremd“ und „unangenehm“ an. Dabei ist allen bewusst, dass es ohne Eigenwerbung nicht geht.

Klar ist: Nicht jeder Mensch ist geeignet für eine Karriere als creator. Viele fühlen sich wohl als Angestellte (oder als „feste Freie“ im öffentlich-rechtlichen Rundfunk) und wollen das nicht ändern, solange sie nicht müssen. Sie profitieren von einem ordentlichen Gehalt in einem vermeintlich sicheren Job, sind Teil eines internen Netzwerks und können sich auf rechtliche Unterstützung verlassen, wenn es mal heikel wird. Klar ist allerdings auch: Die Redaktionen vieler traditioneller Medienhäuser werden in den kommenden Jahren weiter schrumpfen. Das erhöht den Druck auf die, die bleiben und immer weniger Zeit für die Themen haben, für die sie brennen. Kolleg:innen, die kürzlich ihren Job aufgegeben haben, nennen „Arbeitsbelastung“, „Produktionsbedingungen“ oder eine „allgemeine Unzufriedenheit“ als Gründe. Einer sagt auch: „Ich wollte wieder mehr Journalist sein und nicht nur in Meetings sitzen.“

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